Koscher in Europa

Jüdisches Leben in EuropaMit der Hilfe des Himmels

[Kosher or kosher style?] [Olivenöl] [Wein] [Danel Feinkost] [koscher.net/witze]

Lower East Side, Manhattan:
Kossar’s Bialys

[English] [German]
367 Grand Street, New York, NY 10002
www.kossarsbialys.com

Aus "Milch und Hering" Kosher Foodshops in New York

Ich habe es nirgends länger als drei Jahre ausgehalten, außer bei meinem Mann. Nach dem Collegeabschluß hatte ich einen BA in Logopädie, und arbeitete drei Jahre lang im öffentlichen Schulsystem, und dann bekam ich meine erste Tochter. Als ich wieder arbeiten ging, nachdem meine zweite Tochter alt genug für die Kita war, arbeitete ich mich mit alten Leuten in der Nachbarschaft, was ich sehr mochte.

Sehen Sie, ich hab’ nie gedacht, dass ich für irgendetwas talentiert sei. Da war null komma nichts. Jetzt bin ich Bäckerin, und ich habe ein Talent – Bialys!

Mein Mädchenname ist Freund. Meine Großeltern auf beiden Seiten sind Deutsche.
Meine Großmutter väterlicherseits war aus Aschaffenburg, und mein Großvater ist aus Frankfurt. Sie waren beide um 1910 geboren. Als sie meinem Großvater 1938 die Berufszulassung entzogen, ging er nach Frankreich, wo mein Vater, sozusagen „unterwegs“, geboren wurde, and dann kamen sie 1939 nach Amerika. Mein Großvater war Rechtsanwalt und kurz davor, Richter zu werden. Sie konnten ihre Sachen mitnehmen, deshalb haben wir immer noch Möbel aus Deutschland.
Die Eltern meiner Mutter kamen aus Niedelsberg, sie hatten eine Metzgerei, und meine Großmutter hat in ihrer Kindheit die Kühe gemolken. Sie wurden sprichwörtlich mit nichts in den Händen rausgeworfen, ließen die Kuh stehn und rannten.

Wenn ich heute meinen Laden verlieren würde, - würde ich gehen? Bestimmt nicht, unvorstellbar! Immerhin, man war deutsch, man war auch jüdisch, und sie lebten sehr gut dort, - so wie wir hier, was mich ein bisschen nervös macht. Man kann nur hoffen, man lernt aus der Vergangenheit...

Mein Großvater lebt immer noch da oben, in Washington Heights, er lebt zuhause, aber er hat Hilfe. Er hatte zehn Jahre lang Krebs, bekam Chemotherapie, hat aber seine Haare nicht verloren, fühlte sich prima. Man sagt diese Deutschen sind wirklich zäh. Jedes mal wenn er ins Krankenhaus geht sagen sie „Nehmen Sie Ihre Zähne raus!“ und er sagt „Das sind meine eigenen!“ Und sie wollen es nicht glauben.
Hin und wieder wird er sentimental und spricht über die Kristallnacht. Seine Eltern sind mit ihm gemeinsam raus gekommen. Sein Bruder, seine Tanten und Onkel kamen raus, aber, sehen Sie, er hat immer noch seinen Doktortitel, sein Juradiplom, an der Wand hängen. Man spricht ihn immer noch als Doktor Freund an, obwohl er hier in Amerika Wirtschaftsprüfer wurde.



Er war wirklich sehr stolz, deutsch zu sein. Wissen Sie, wir waren Yekkes, deutsche Juden, wir waren pünktlich und anständig. Wir waren korrekt angezogen, und hatten das richtige Geschenk zur richtigen Zeit.
Wir hatten unsere eigenen Bäckereien, unsere eigenen Metzger und unsere eigenen Gebetbücher, die anders sind als alle anderen. Wir gaben immer die Hand. Wir küssten nie. Alles hatte seinen Platz, seine Ordnung. Ja, so wuchs ich auf, - und hier ist alles ein einziges Durcheinander.

Ich heiratete und zog hier runter. Als Kind wusste ich nicht, was ein Bialy war. In Washington Heights gibt’s keine Bialys. Mein Mann ist hier geboren, er ist polnisch-russisch – also kommt einfach von der Lower East Side. Wir sind sehr unterschiedlich. Ich habe immer gedacht, was ich machte, sei normal, und dann betrittst du den Rest der jüdischen Welt, die ja mehrheitlich polnisch-russischer Abstammung ist, und plötzlich sind alle Gebräuche anders. Wir haben uns sozusagen rausgepickt, was uns gefällt. Aber meine Kinder sind, denke ich, vor allem amerikanisch.
Als ich meinen Mann kennen lernte arbeitete er in einem Deli und wollte Caterer werden. Und ich sagte: „Nein, du kannst nicht Caterer werden, weil nämlich alle Caterer fett sind, schlechtgelaunt, und sie sterben früh!“ Also ging er in die Politik, - aber er hatte immer Essen im Kopf.
Und dann tauchte das hier auf, Februar '98! Ich war gerade im achten Monat schwanger mit meinem jüngsten Sohn. Aber wir kauften den Laden, gemeinsam mit meiner Schwägerin und ihrem Mann! Ich bin die einzige, die Vollzeit hier arbeitet.

Man behauptet immer, Bialys seien polnisch – das sind sie wirklich nicht! Ich denke, sie gehören jetzt zu New York! Ein paar polnische Juden immigrierten, brachten sie her, und das New Yorker Wasser ist zufällig ausgezeichnet für Bialys und Bagels, keine Idee, warum. Das Fluor, der Dreck, keine Ahnung. Es gibt in ganz Amerika drei Bialys- Bäckereien, und zwei davon sind in Brooklyn, eine in Manhattan.
Wir fangen mit den Bagels an und ich vergleiche sie mit Bialys! Also, die fertig geformten Bagels müssen an einen kalten Platz gelegt, und dann in einem Kessel gekocht werden. Dann streuen wir Körner drüber, tun sie in den Ofen, wenden sie, und holen sie raus. Das ist der Bagel-Prozess.
Bialys dagegen, wollen wir warm halten und aufgehen lassen und dann backen wir sie direkt aus. Kein Umdrehen, kein Abkochen, nichts dergleichen. Ich sag’ ihnen sogar die geheimen Zutaten, Mehl, Wasser, Salz und Hefe. Ich hab festgestellt, dass Frauen Bialys lieber mögen – oder dünne Männer. Männer die schweres Essen lieben, bevorzugen Bagel.

Eine volle Schicht ergibt 270 Dutzend Bialys. An einem normalen Tag haben wir drei Schichten laufen, sechs Tage die Woche. Wir haben jetzt vier Bäcker, mein jüngster Bäcker ist um die vierzig, und sie arbeiten hier seit langer Zeit. Tatsächlich ist es eine Kunst einen Bialyteig zu machen. Selbst wenn ich Ihnen erklärte, wie man einen guten Teig macht, im Winter wäre dieser Teig nicht mehr gut. Oder wenn es draußen feucht wird, oder es ist windig, - manchmal sieht man die Tür geöffnet, während sie backen. Manchmal halten sie die Kästen fest geschlossen, manchmal öffnen sie die Kästen. Ich finde es so erstaunlich, weil sie gar nicht realisieren, dass sie Chemie betreiben!
Es gibt ein Ritual für den Teig: Von jedem Teig der mehr als fünf Pfund wiegt, wird ein Stück abgenommen. Man spricht einen Segen, - das mache ich jeden Tag. Wir werfen jedes Stück in einen Eimer, in eine große Papiertüte, und am Ende der Woche, nach Backschluß, bevor wir am Freitagnachmittag schließen, verbrennen wir den Teig. Samstagnacht nehmen wir es dann aus dem Ofen, und fangen von vorn an. Wir machen das so, für den Fall, dass jemand den Teig im Eimer sehen will. Die Leute sind misstrauisch.

Der ursprüngliche Besitzer hieß Morris Kossar, und der Laden ist ungefähr fünfundsechzig Jahre alt. Es war immer ein koscherer Laden, aber er war Samstags geöffnet. Wir schliessen am Samstag, was unseren Stammkunden eine Menge Probleme bereitete. Ich selbst lebe koscher. Am Sabbat will keiner von uns arbeiten, wir wollen Zeit für die Familie haben - ich bin Jüdin. Ich bin religiös und ich habe meine Traditionen.


Rezension zum Buch
"Milch und Hering"

Zur Ausstellung "Milch & Hering":
Jewish Foodshops in New York
Eine Ausstellung von Michael Melcer und Patricia Schon im Jüdischen Kulturmuseum Augsburg-Schwaben, vom 30. Januar bis 6. April 2003

Artikel des Aufbau zur Augsburger Ausstellung (pdf)

Das Buch / bestellen?

hagalil.com / 2003-08-31

 


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